Aus: DIE ZEIT


Zwei neue Bücher zur Emanzipation


Von Christel Buschmann


Stirbt ein Mann in Jügesheim bei Offenbach, so läutet die große Glocke. Stirbt eine Frau in Jügesheim, darf es nur die kleine sein. Schwaches für die Schwachen. Schwachsinniges für die Schwachsinnigen.


Der Kirchenmänner uralte Verachtung für das weibliche Geschlecht hat einen langen Atem. Zwar ist es kirchlicherseits nicht mehr üblich, sich zwecks Beschreibung des Weibes der eigenwilligen Metaphorik alter Kirchenväter zu bedienen („Gift für die Essenden“, „Lockspeise des Satans“, „Vorposten der Hölle“), und wenn heute kirchliche Würdenträger den frommen Wunsch verspürten, wie 1486 die deutschen Dominikaner Jakob Sprenger und Heinrich Institoris, ernsthaft die Vernichtung des gesamten weiblichen Geschlechts aufs kirchliche Programm zu setzen, müßten sie sich wohl auf ihren Geisteszustand untersuchen lassen, anstatt wie einst mit der Arbeit beginnen zu dürfen (im Namen der Kirche wurden während der europäischen Hexenverfolgungen viele Hunderttausende von Frauen getötet).

Wenngleich die Frauen heute also unbestreitbar besser dran sind – ein nicht geringer Rest von Infamie ist geblieben, und er hält sich in Kirchenkreisen besonders gut. Wie der Religions- und Kultursoziologe Demosthenes Savramis feststellt, gibt es nur eine Alternative für den „furchtbaren Wurm im Herzen des Mannes“: Mutter oder Dirne. „Die Frau als freies, selbständiges Wesen, das über sich selbst verfügen kann und vor allem seine sexuellen Bedürfnisse auf Grund des Lust-Unlust-Prinzips befriedigen kann, hat im Rahmen der christlichen Theologie keinen Platz.“


Warum nicht, sieht Savramis in der Angst der Männer begründet. Die wissen angeblich seit urlangen Zeiten: die Frau ist nicht schwach, sie wird nur so genannt. So heißt sein Buch – Demosthenes Savramis: „Das sogenannte schwache Geschlecht“; Paul List Verlag, München; 272 S., 18,– DM.


Diese Erkenntnis ist natürlich weder das Ei des Kolumbus noch hat sie Seltenheitswert, siehe auch – Elaine Morgan: „Der Mythos vom schwachen Geschlecht – Wie die Frauen wurden, was sie sind“, aus dem Englischen von Jutta und Theodor Knast; Econ Verlag , Düsseldorf; 300 S., 20,– DM.


Aber sie steht zumindest bei Savramis in einem meist pietätvoll ausgesparten Zusammenhang: Die Kirche, das geht aus seiner Zusammenstellung von Fakten und historischen Textauszügen (Johannes Chrysostomos, Thomas von Aquin, Martin Luther, Jakob Sprenger und Heinrich Institoris) deutlich hervor, ist ein Emanzipations-Hemmschuh erster Ordnung.


Diesem Textkapitel unter der Überschrift „Metaphysische Legitimation der Diskriminierung der Frau“ steht Savramis’ Zusammenfassung des Problems voran. Er stellt fest, daß sich die Penisneid-Theorie auf Grund der vorhandenen anthropologischen und ethnologischen Befunde nicht bestätigen läßt. Das Gegenteil sei der Fall: „Nicht die Frau, sondern der Mann empfand und empfindet stets Minderwertigkeitskomplexe. gegenüber dem anderen Geschlecht.“ Aus diesen Komplexen resultieren „jene Überwertigkeitskomplexe, welche das patriarchalische Vorurteil bewirken. Menstruation, Schwangerschaft und Geburt veranlaßten die Männer, das andere Geschlecht als ein mit übernatürlicher – positiver und negativer – Macht begabtes Wesen zu betrachten“. Eine Vorstellung, die nur zwei Möglichkeiten der Behandlung offenließ – „entweder die Verherrlichung und Vergottung der Frau oder ihre Verteufelung“. Beides läßt sich, wie Savramis nachweist, „als Realität in der Geschichte der Menschheit und Religion feststellen“.


Frauen sind Sünde


Die Mißachtung des weiblichen Geschlechts ist zwar weder aus der Lehre noch aus den Taten Christi abzuleiten, aber seine Forderung nach Gleichberechtigung ging „im Ansturm seiner frauenfeindlichen Umwelt“ unter. Der Apostel Paulus kämpft an beiden Fronten, gibt zwar zu, daß Mann und Weib gleich sind, erkennt aber den Mann als das „Haupt“ des Weibes an und liefert so „das theologische Rüstzeug für die Unterordnung der Frau unter den Mann in der Kirche und in den von ihr später kontrollierten Gesellschaftsformen“. Theologie und Kirche haben die paulinische Frauenfeindlichkeit perfektioniert: „Im sogenannten christlichen Abendland erleben wir den Höhepunkt einer Polarisierung der Geschlechter auf Grund der Identifizierung der Frau mit der Sünde.“


Der kirchliche, ist nur ein Aspekt des Savramis-Buches und auch nicht der, dem der meiste Platz gelassen wurde, aber er verdient die nachdrücklichste Erwähnung, eben weil er in der Emanzipationsliteratur so selten auftaucht.


Der größte Teil der Ausführungen zum schwachen Geschlecht, das nur so genannt wird, stammt von mehr oder weniger großen, sprich männlichen Geistern der Geistesgeschichte; unter anderem von Rousseau, Nietzsche, Schopenhauer, Bachofen, Engels, Bebel und natürlich dem unvermeidlichen Herrn Möbius mit seinem berühmten Satz von den schlechter entwickelten „Windungen des Stirn- und Schläfenlappens“, die den „physiologischen Schwachsinn des Weibes“ seiner in neun Auflagen verkauften Ansicht nach ausmachen. Seine Art vermeintlich scharfsinniger Gedanken, mit der er Schwachsinn erkennt, ist so ziemlich die penetranteste dieser Sammlung („Ein kleiner Kopf umschließt natürlich ein kleines Gehirn“), aber von heute aus gesehen wohl auch mit die harmloseste.


Da gibt es andere Überlegungen zum Weib, die viel problematischer sind. Denn sie könnten allerhand Männern heute noch einleuchten: „Daß das Weib, seiner Natur nach, zum Gehorchen bestimmt sei, gibt sich daran zu erkennen, daß eine Jede, welche in die ihr naturwidrige Lage gänzlicher Unabhängigkeit versetzt wird, alsbald sich irgendeinem Manne anschließt, von dem sie sich lenken und beherrschen läßt; weil sie eines Herrn bedarf. Ist sie jung, so ist es ein Liebhaber; ist sie alt, ein Beichtvater (Schopenhauer). „Das Prinzip aller Begrifflichkeit sind die logischen Axiome, und diese fehlen den Frauen ...“ (Otto Weininger). „Ihre Würde ist es, nicht gekannt zu sein; ihre Ehre ist die Achtung ihres Mannes: ihre Freuden liegen im Glück ihrer Familie“ (Rousseau). „Das Glück des Mannes heißt: ich will. Das Glück des Weibes heißt: er will“ (Nietzsche).


Solche Sprüche sind längst nicht ausgestorben. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß 1975 das Jahr der Frau sein wird.

Emanzipationsauftrieb geben eigentlich nur die Texte von Bachofen, Engels, Bebel und Savramis, der allerdings in seiner zehn Thesen umfassenden Einleitung dem sogenannten schwachen Geschlecht allzu väterlich und fürsorglich unter die Arme greift.

Nach dem Motto „bloß nicht immer nur destruktiv sein!“ ringt Savramis sich wieder am Ende einen ebenso profanen wie erhabenen Schluß ab: „Die Unheilsituation des schwachen Menschen, die sich aus der gegenseitigen Entwürdigung der Geschlechter ergibt, ist nur durch gemeinsame Bemühungen von Männern und Frauen aufzuheben, deren Erfolg oder Mißerfolg von der Tatsache abhängig ist, ob der Mensch endlich einsehen wird oder nicht, daß Gott nicht nur Adam, sondern Adam und Eva mit der Vollendung seines Werkes beauftragte.“ Ob es letztlich nun gerade von dieser Einsicht abhängen wird, wage ich zu bezweifeln.


Legenden der Männer


Auch Elaine Morgan endet ihre starken schwachen Attacken zugunsten eines starken schwachen Geschlechts theatralisch und kooperationswillig: „Er ist – neben uns – das wunderbarste aller Geschöpfe, die Gott je geschaffen oder die Erde hervorgebracht hat. Wir brauchen weiter nichts zu tun, als liebevoll die Arme auszubreiten und zu sagen: ‚Komm nur herein! Das Wasser ist herrlich“

Die Sache mit dem Wasser erklärt sich aus tiefem Wühlen in Vor- und Urzeiten und klärt sich umständlich, aber zwanglos bei der Lektüre.

Elaine Morgan nämlich verfolgt die Aufwertung der „Nr. 2 des menschlichen Geschlechts“ (Schopenhauer) auf einem ganz anderen Weg als Savramis. Sie versucht, eine neue Lesart des nackten Affen zu geben, aus weiblicher Sicht, frustriert, in der Männerliteratur nie solches gelesen zu haben: „Als die erste Vorfahrin der Menschenrasse aus den Bäumen herabstieg, hatte sie das gewaltige Gehirn noch nicht entwickelt, das sie so eindeutig von allen anderen unterscheiden sollte...“


Es soll sich nicht alles gerichtet und entwickelt haben nach den Bedürfnissen und zum Dienste männlicher Wesen. Elaine Morgan bemüht ihre männlichen Entwicklungs- und Verhaltensforscher-Kollegen, um deren Männerversionen von der Entstehung des Menschen(mannes) zu widerlegen und dagegen zu protestieren, daß sich die „Legende vom Erbe des Dschungels und von der Evolution des Mannes als jagender Fleischfresser sich im Geist des Mannes heute ebenso fest eingewurzelt (hat), wie es die Schöpfungsgeschichte der Bibel früher getan hat“.


Man kann zwar nicht sagen, daß ihre manchmal witzig, manchmal kokett frech vorgetragenen neuen Antworten und Vermutungen zu bewegenden Fragen menschlicher Vorgeschichte (Was geschah mit uns während des Pliozäns? Warum richteten wir uns auf? Wie kam der Affe dazu, Waffen zu benutzen? Warum wurde der nackte Affe nackt? Warum ist unser Sexualleben so kompliziert und verworren geworden?) nun alle Unklarheiten beseitigen, im Gegenteil. Aber man kann sagen, daß Elaine Morgan ein Beispiel von Emanzipation bietet. Insofern, als ihr Geist flexibel scheint. Sie macht sich frei von eingefleischtem Denken, das eine Männerwelt ihr diktiert hat, und denkt ihre eigenen Wege.


Und also trägt man es mit Fassung, wenn die Autorin nicht umhin kann festzustellen, nichts Genaues wisse man nicht: „Es scheint wirklich, daß eine Anzahl von Dingen, die für Frauen von grundsätzlicher Bedeutung sind, irgendwie schief gelaufen sind.“

Nach Kenntnis dieses Satzes wirkt der für Emanzipationsbücher charakteristische Klappentextspruch um so blöder: „Eine Diskussion über die Emanzipation der Geschlechter, eine Erörterung der Stellung der Frauen in der Familie und der Gesellschaft wird ohne dieses Buch nicht mehr möglich sein.“ So wenig emanzipiert, wie Verlage wollen, sind die Emanzipation und ihre Diskutanten nun wirklich nicht.

Für Frauen genügt die kleine Glocke


Demosthenes Savramis: Das sogenannte schwache Geschlecht und Elaine Morgan: Der Mythos vom schwachen Geschlecht

(placeholder)

CHRISTEL BUSCHMANN

Autorin          Regisseurin

Uebersicht
top

Impressum  

Seitenanfang